Man kann im Krankenhaus nicht nur die verschiedenen Berufsgruppen an ihrer Kleidung erkennen, sondern auch, wo ein Patient in seiner Aufenthaltsdauer ungefähr steht.
Der Neueintritt trägt Alltagskleidung, hat eine adrette Frisur und sieht mehr oder weniger frisch aus. Er bewegt sich frei auf der gesamten Station, geniesst das Essen und hin und wieder ein Tässchen Kaffee. Verständlicherweise ist er ziemlich nervös und sagt entweder gar nichts oder belagert die Pflege mit allen erdenklichen Fragen und Anliegen.
Der frisch operierte wird im Bett zurück auf die Station gefahren, sagt nicht viel mehr als „Ja“, „Nein“, „Schmerzen“ oder „Mir ist schlecht.“. Er ist pflegeaufwändig, aber wenn er nicht zu starke Schmerzen hat, sich die Seele aus dem Leib erbricht oder als Nachwirkung der Narkose im ganzen Zimmer pfeifende Kanarienvögel rumfliegen sieht, lässt er sich gut führen.
Der Erstmobilisierte schleicht an seinen Infusionsständer und eine Pflegefachperson gestützt einmal zur Toilette, um danach mindestens eine halbe Stunde kreidebleich und mit erhöhten Beinen im Bett zu liegen und dafür zu beten, dass die Wände endlich aufhören mögen, sich zu drehen. Er hängt an einer Kochsalzinfusion (an jeder Hand) und bekommt über Perfusoren zusätzlich Schmerzmittel und Blutverdünnung.
Der Langzeitpatient watschelt etwa ab dem vierten oder fünften Tag nach der Operation mit schweren Schritten und leicht gebeugter Haltung mit seinem Infusionsständer über den Gang. Er trägt Krankenhausnachthemd, Morgenmantel und natürlich knallenge Antithrombosestrümpfe. Die Infusionen haben sich auf eine zugabenfreie Kochsalzlösung sowie sporadisch angehängte Antibiotika und Schmerzmittel reduziert. Da ihm das Heparin über den Perfusor gestrichen wurde, zieren nun blaue Flecke von der allabendlichen Fraxiparinspritze seine Oberarme. Da auch kein Katheter mehr in der Arterie liegt, müssen zum Blutnehmen nun ebenfalls regelmässig die Armbeugen hinhalten.

Bis zu seiner ersten Begegnung mit einer ausgiebigen Dusche sieht er ziemlich erbärmlich aus, danach riecht er wenigstens nicht mehr so.
Der Ausharrende steht einen Tag vor seiner Entlassung. Er hat das Krankenhausnachthemd mit modisch voll im Trend liegendem tiefem Rückenausschnitt gegen bequeme Jogginghosen und ein T-Shirt getauscht und ist sämtliche Infusionen losgeworden. Die Thrombosestrümpfe sind ihm allerdings geblieben. Mit der Zeit beginnt er sich wieder mehr für das zu interessieren, was in der Welt passiert, liest Zeitung, ein Buch oder schaut fern. Wenn er Besuch bekommt, fallen ihm nicht schon nach 10 Minuten vor lauter Müdigkeit die Augen zu, sondern er führt ihn in die Krankenhauscafeteria aus, selbstverständlich, um sich dort grosszügig einladen zu lassen.
Der Entlassene hat zwei Taschen mehr als bei seinem Eintritt, die er getrost seinem Fahrdienst zum Tragen überlässt. Erstmobilisierte und Langzeitpatienten tuen ihm leid, weil er weiss, was sie gerade durchmachen. Andererseits prahlt er damit, dass er die Strapazen der letzten Wochen schadlos überstanden und garantiert nie geklagt oder gejammert hat. Man will ja keine Memme sein… Im Idealfall trägt er schon wieder Jeans und Pullover, je nach Krankheit und Operation sind aber auch nach wie vor Schlabberhosen und weite Oberteile angesagt. Die Thromobosestrümpfe ist er endlich losgeworden.