Wohngeschichten

Fremde in der Wohnung – Teil 1

Mein Studium neigt sich dem Ende zu und meine Zeit in Bern damit auch. Für mein einjähriges Praktikum direkt anschliessend an das Studium habe ich eine Stelle im Kanton Aargau gefunden. Somit habe ich auch den Mitvertrag für meine geliebte Einzimmerwohnung auf Ende Juli gekündigt und die Verwaltung hat sie zur Neuvermietung ausgeschrieben. Das Interesse ist riesengross, seit Tagen klingelt ständig mein Telefon und der Posteingang meines Mailaccounts füllt sich ebenfalls im Stundentakt mit Anfragen. Das ganze Wochenende über geben sich Interessenten die Klinke in die Hand. Menschen, die ich noch nie zuvor gesehen habe und vermutlich auch nie wieder sehen werde, inspizieren den Raum, der gleichzeitig mein Wohn-, Schlaf- und Esszimmer ist.

Abgesehen davon, dass ich natürlich einen ordentlichen Eindruck hinterlassen möchte, gebe ich den Fremden mehr oder weniger unfreiwillig einen recht tiefen Einblick in meine Privatsphäre. An den Wänden hängen überall Fotos, Postkarten, Gedanken und Sprüche, die mir etwas bedeuten. Habe ich mich damals bei der Wohnungssuche auf jedes Detail geachtet? Ich glaube eher nicht. Jedenfalls kann ich mich überhaupt nicht an die Einrichtung meiner Vorgängerin erinnern? Wo standen ihr Bett, ihr Schreibtisch, ihre Kommode? Keine Ahnung.

Das waren meine Gedanken vor der ersten Besichtigung. In der Realität habe ich mir wohl zu viele „Sorgen“ gemacht. Der erste Bewerber schoss gestern während knapp zwei Minuten wie von der Tarantel gestochen durch mein Zimmer, warf einen hektischen Blick in jede Ecke und verschwand genauso schnell, wie er gekommen war. Ein Anmeldeformular zur offiziellen Bewerbung bei der Verwaltung hat er jedoch gerne mitgenommen. Bewerber Nummer zwei ist gar nicht erst erschienen (irgendwie hatte ich am Telefon schon vermutet, dass das passieren könnte) und Bewerber Nummer drei, ein Herr mittleren Alters, war auch nach weniger als zehn Minuten wieder weg. Immerhin schien er etwas mehr Erfahrung bei der Wohnungssuche zu haben, den er fragte nach dem Grund für meinen Auszug (Ärger mit der Verwaltung oder den Nachbarn) und sah sich Küche und Badezimmer in Ruhe an.

Ich bin jedenfalls schon sehr gespannt, wer gleich um elf Uhr an meiner Türe klingelt.

 

 

 

Ein Gedanke zu „Fremde in der Wohnung – Teil 1“

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