Essgeschichten, Studiumsgeschichten

Homeoffice für Privilegierte – Teil 2

Ein Bisschen komme ich mir vor wie eine Wissenschaftlerin, die so lange an einem Experiment herumtüftelt, bis es (hoffentlich) irgendwann funktioniert. Eine Erkenntnis hat sich bisher besonders eindeutig herauskristalisiert: Joghurtbakterien brauchen Futter in Form von Laktose, sonst streiken sie und verweigern die Arbeit. Das nahrungsfaserreiche Johannisbrotkernmehl scheint für eine cremige Konsistenz förderlich zu sein.

 

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Nachdem ich gestern noch verschiedene Rezepturen und Zusammensetzungen ausprobiert hatte, habe ich mich heute auf das Rezept konzentriert, welches gestern das beste Resultate bezüglich der Konsistenz geliefert hat und es mit allen mir zur Verfügung stehenden Milchen erneut zubereitet.

Meiner Meinung nach sollte ein Joghurt cremig und weder zu fest noch zu flüssig sein. Einige der Versuche von gestern waren geschmacklich zwar gut, glichen jedoch eher einem Milchshake. Ein paar andere, welche ich gemäss einem Rezept aus dem Internet mit dem pflanzlichen Geliermittel Agar-Agar zubereitet hatte, hatten die Konsistenz eines Schwabelpuddings und sind bei mir auch beim Geschmackstest durchgefallen.

Die Geschmacksvariationen, welche ich morgen meinen Silvestergästen zum Probieren vorlegen werde, sind:

  • Reisdrink
  • Reisdrink mit Mandel
  • Mandeldrink
  • Haferdrink
  • eiweissarme Spezialmilch mit Schokogeschmack
  • eiweissarme Spezialmilch nature
  • Reisdrink mit Kokosmilch
  • Kokosmilch
  • Reisdrink mit Haselnuss

Bis heute Abend ruhen die Joghurtgläser auf der warmen Ofenbank.

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Ich bin schon sehr gespannt auf ihr Urteil.

Studiumsgeschichten

Essen für die Kleinsten und Kleinen

Studien zeigen, dass neben der Freundlichkeit des Personals die Qualität des Essens an zweiter Stelle kommt, wenn es darum geht, ob jemand ein Krankenhaus weiterempfehlen würde oder nicht. Die für die Patienten und Besucher meist unsichtbaren Heinzelmännchen und Heinzelfrauchen in der (Diät-)Küche tragen also ganz wesentlich zur Patientenzufriedenheit bei. Das gilt natürlich auch, und vielleicht sogar ganz besonders, in einem Kinderspital.

Als Ernährungsberaterin kann man sich mit der Diätküche gar nicht gut genug stellen. Über sie läuft alles, was von den regulären Tagesmenues abweicht. Von Berufs wegen wird man den Diätköchen früher oder später mir ausgefallenen Sonderbestellungen auf die Nerven gehen müssen und da empfiehlt es sich, bereits im Voraus für ein gutes Klima und eine offene Kommunikation mit der Küche zu sorgen. Sie kochen oft separate Gerichte für einzelne Personen und setzen die ernährungstherapeutischen Verordnungen um.

Heute habe ich also den ganzen Tag in der Diätküche verbracht und fleissig mitgeholfen. Also jedenfalls in der Zeit, in der ich nicht im Weg rumstand. Ich fand’s schön zu sehen, mit welcher Hingabe die Köche selbst Babybrei angerichtete haben und wie aus einer Portion Schokoladenmousse beispielsweise ein Koalabär mit einem Gesicht aus Früchten und einem Schlips aus Pfefferminz wurde.

Ich finde es echt faszinierend, dass bei einer Vielzahl von verschiedenen Menus und Kostformen am Schluss (fast) jedes Kind genau das bekommt, was es bestellt hat. Hier ein Gemüsedipp ohne Peperoni, da Quarkküchlein mit Tomatensauce statt mit Bolognaise, genau abgewogene Pasta für die Diabetiker und auf die Kalorie genau berechnete Gerichte für die Patienten auf der Station für Essstörungen.

Ein Bisschen gewöhnungsbedürftig ist für mich die Tatsache, dass bei dem sogenannten „cook & chill“ Verfahren das Essen komplett kalt auf die Teller kommt und erst nach der Auslieferung auf den Stationen erwärmt wird. Wo sonst legt man eine halbgefrorene Bratwurst in eine kalte Sauce mit noch kälterem Reis?

Studiumsgeschichten

Alle Klarheiten beseitigt

Ernährung ist eine Wissenschaft voller Fragezeichen, Unklarheiten und Widersprüchen. Das wird mir immer wieder aufs Neue klar, wenn ich in der Vorlesung sitze und der Dozent heute etwas komplett anderes erzählt als die Dozentin gestern. Beispiel:

  • Zuckeraustauschstoffe und Süssungsmittel sind ein heiss umstrittenes Thema. Für einige sind sie völlig harmlos, andere machen sie verantwortlich für Gewichtszunahme, Bluthochdruck und einige andere unschöne Dinge.
  • Speiseöle- und fette: Rapsöl als das optimale Öl für die kalte und warme Küche versus diverse, sich bezüglich der Fettsäurezusammensetzung ergänzende Öle.
  • Low carb versus Low fat zur Gewichtsreduktion.

Diese Liste liesse sich endlos weiterführen.

Für fachkompetent halte ich sie eigentlich alle, daran liegt es wohl nicht. Das Problem ist eher, dass die Studienlage grösstenteils sehr unklar ist und schlussendlich jeder Ernährungsberaterin und jede Ernährungsberaterin für sich selber entscheiden muss, was er oder sie empfiehlt und was nicht. Gerade zu Beginn des Studiums, wo man gerne Fakten hätte, an denen man sich orientieren und festhalten kann, sorgt das bei mir zuweilen für grosse Verunsicherung. Abgesehen davon muss man dann immer höllisch aufpassen, bei welchen Dozierenden man was sagen sollte und was eher nicht.

Essgeschichten

Gekaufte Wissenschaft

Kürzlich hate eine Mitstudierende in unserer kohorteneigenen Facebook-Gruppe den Link zu einer Dokumentation des Fernsehsenders Arte gepostet. Ihr Titel: „Die Diät-Lüge“.

Im wesentlichen geht es darum, dass zwei Journalisten im Zusammenarbeit mit einem Hausarzt und einem Ernährungswissenschaftler eine Diätstudie fingieren und es tatsächlich schaffen, diese zu publizieren sowie mit ihrer Erkenntnis – Schokolade macht schlank-weltweit in die Schlagzeilen zu kommen. Dabei hätte jeder Amateurwissenschaftler schon beim ersten Durchlesen des Papers merken müssen, dass die Ergebnisse einer Studie mit nur 14 Probanden und unzähligen anderen Ungereimtheiten nicht für bare Münze genommen werden können. Wenn ich in zwei Jahren meine Bachelor Arbeit in dieser Form abgebe, kann ich mir die Eins – in der Schweiz wohlgemerkt die schlechteste Note – auch gleich selber ins Zeugnis schreiben.

In einem Hintergrundbericht beleuchten sie ausserdem, was sich hinter den Fassaden der Diätindustrie zum Teil so abspielt und kommen dabei zu erschreckenden Ergebnissen. „Wissenschaftliche“ Studien zur Wirkung von Diäten werden oft direkt von der jeweiligen Firma produziert und die Mitglieder von Gremien, welche Richtlinien zur Adipositasbekämpfung herausbringen, sind finanziell am Erfolg von den propagierten Diäten beteiligt.Der Erfinder der bekannten Dukan-Diät sagt sogar vor laufender Kamera, es interessiere ihn nicht, ob seine Ernährungsweise langfristig etwas bringe. Für ihn sei nur wichtig, dass die Leute damit schnell abnehmen.

Immer wieder gibt es neue Diät-Trends, die sich dann in jeder Zeitschrift wiederfinden. Doch wer versteht überhaupt, was hinter dem Prinzip low carb steckt oder warum es kein Wunder ist, dass man bei der Werwolf Diät (ja, die heisst echt so) in 24 Stunden bei Vollmond zwei Kilo (würde auch in allen anderen Mondphasen funktionieren, aber dann ist es nicht so sexy und klingt weniger schlau) abnimmt, wenn man nur Wasser und Saft trinkt. Interessant fand ich übrigens auch, dass das französische Wort für Diät „Regime“ lautet.

Forschungsmethoden und Statistik sind mühsame Fächer und ich werde sie nie mögen, aber inzwischen weiss ich wenigstens, dass ein gewisses Hintergrundwissen über die Durchführung von Studien helfen kann, die Qualität von Publikationen zumindest oberflächlich zu überprüfen.

Essgeschichten

Essen als Lebensinhalt

Folgender Beitrag hat nicht mit der Stadt Bern sondern mit meinem bald beginnenden Studium in Ernährung und Diätetik zu tun.

Vor ein paar Jahren wurde man noch schief angeschaut, wenn man, aus welchen Gründen auch immer, kein Fleisch essen wollte. In den Restaurants war das Angebot für Vegetarier noch sehr beschränkt und hin und wieder konnte man einfach nur das Gemüse und die Sättigungsbeilage eines Gerichtes bestellen, weil es per se nichts Fleischloses auf der Karte gab.

Heute ist das zum Glück anders und selbst Veganer, die weder Fleisch noch andere tierische Produkte essen, kommen auf ihre Kosten. Das Bewusstsein für gesunde und nachhaltige Ernährung scheint mir allgemein grösser geworden zu sein und das ist  richtig so.

Fast täglich liest man in irgendeiner Gratiszeitung einen Artikel über neuste Erkenntnisse aus dem Gebiet der Ernährung, es gibt unzählige Diäten, „Wunderpillen“ und Programme für die Bikini-Figur in 10 Tagen. Auf Blogs und in sozialen Netzwerken leben einem Leute vor, wie sie sich mit viel Workout und peinlichst genau abgewogenen Mahlzeiten fit halten. Wen erstaunt es da, dass immer mehr Leute verwirrt sind von der Flut an Informationen und sich verkrampft an dem festhalten, was ihnen richtig erscheint?

Essen hat heute für viele nicht mehr nur mit Nahrungsaufnahme und Genuss zu tun, sondern ist zu einer Lebenseinstellung oder eben einer Ersatzreligion geworden. Man will sich und der Umwelt gutes tun, durch striktes Essverhalten Disziplin beweisen und einen – nach den heutigen gesellschaftlichen Normen- schönen Körper zur Schau stellen.

Orthorexie hat sich neben Bullimie, Anorexie und Binge Eating in die Kategorie der Essstörungen eingereiht. Gesunde Ernährung kann zum Zwang führen und damit zu ähnlichen Begleitsymptomen wie bei der Magersucht.

Wenn die Beschäftigung mit dem Essen zum Lebensinhalt wird, bleibt die Seele auf der Strecke. Gesunde Ernährung ist wichtig – sie hat ihren Platz im Alltag und in den Köpfen der Menschen verdient- aber sie ist eben nicht alles und die Art, wie wir uns ernähren, sagt nur sehr wenig über unser Persönlichkeit aus.

Ich bewundere Menschen, die ihr Essen geniessen, sich auch mal mit einem Stück Torte bewusst etwas Gutes tun und auf ihren Körper und seine Bedürfnisse vertrauen. Wer sich seiner selbst bewusst ist, auf die Signale von Körper und Seele hört, also auch zwischen physiologischem Hunger und Seelenhunger unterscheiden kann, wird auf lange Zeit viel glücklicher und gesünder durchs Leben gehen, als jemand, der jeder Diät und jedem Ernährungstrend nachrennt.