Eine meiner Freundinnen hat schwere Allergien auf zahlreiche Lebensmittel, darunter beispielsweise auch Kräuter und Gewürze. Wenn sie davon isst, und sei es auch nur in geringen Mengen, bekommt sie nicht einfach nur einen Ausschlag oder eine triefende Nase, sondern einen potentiell lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock mit Atemnot und allem, was dazu gehört.
Mir war zwar bewusst, dass sie dadurch in ihrer Lebensmittelauswahl stark eingeschränkt ist und immer genau auf die Verpackungen achten muss, aber bisher habe ich sie immer nur daheim erlebt, wo sie selber kochen konnte. Im Studium haben wir uns natürlich auch schon ausführlich mit Allergien beschäftigt, aber in der Theorie hört sich eben meist alles viel einfacher an, als es in der Praxis umzusetzen ist.
In unseren gemeinsamen Ferien ist mir darum erst so richtig bewusst geworden, was es für sie bedeutend, beim Essen so wenig flexibel zu sein und wie einschneidend Nahrungsmittelallergien für die Lebensqualität sind.
Während wir zwei anderen im Restaurant nach Lust und Laune bestellen konnten, musste sie zunächst bei der Bedienung nachfragen, ob es für die Küche überhaupt möglich ist, für sie ein allergenfreies Menue zu kochen. Ihr Wunsch: Geschälte Kartoffeln in Salzwasser gekocht und Fisch in etwas Olivenöl gebraten. Ausser Salz keine Gewürze, keine Sauce und auch keine Dekoration auf dem Teller. Die Bedienung klärte das mit der Küche ab und am ersten Abend hat es sehr gut geklappt.
Beim nächsten Restaurantbesuch äusserte sie den selben Wunsch und bekam von der Bedienung zugesichert, dies wäre für die Küche kein Problem. Der Teller kam, dekoriert mit Kräutern und umrahmt von einer Ölzubereitung mit Gewürzen. Sie musste ihn zurückgeben, mit der eindringlichen Bitte, die Speisen nicht einfach auf einen neuen Teller zu lesen. Offensichtlich wurde das dann doch gemacht. Am Fisch und an den Kartoffeln klebte noch kleine Reste von abgewaschenen Kräutern und es war für sie eine grosse Herausforderung, überhaupt etwas zu essen. Man sag ihr regelrecht an, wie viel Überwindung es sie gekostet hat, den Teller nicht unberührt zurückgehen zu lassen. Sie hatte Angst vor einer möglichen negativen Reaktion ihres Körpers. In einem fremden Land und in der Öffentlichkeit einen allergischen Schock zu erleiden ist bestimmt nicht das, was man sich um Urlaub wünscht. Zum Glück ist nichts passiert.
Nie vergessen werde ich ihren glücklichen Gesichtsausdruck an unserem letzten gemeinsamen Abend in Frankreich. Wir sassen zu dritt in einem tollen Restaurant, haben uns hervorragend unterhalten, viel gelacht und sie bekam, wie bestellt, in Olivenöl gebratenen Lachs und Salzkartoffeln. So simpel und trotzdem war es in diesem Moment für sie wohl das Beste, was ihr der Koch überhaupt hätte schenken können: Einen entspannten Abend mit Freundinnen. Ein tolles Beispiel dafür, dass Essen eben nicht nur simple Nahrungsaufnahme, sondern auch ein wichtiger Bestandteil des Soziallebens eines Menschen ist.
An dieser Stelle möchte ich mich dafür aussprechen, dass Menschen mit (schweren) Lebensmittelallergien ernst genommen werden und dass man ihnen auch ehrlich sagt, wenn man als Gastgeber nicht in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen. Ich bin sicher, dass ist den Betroffenen tausendmal lieber, als wenn sie das Gefühl haben, man nimmt sie nicht für voll und bringt sie dadurch in Gefahr.
Heute ist es schon fast in Mode, irgendeine Nahrungsmittelintoleranz oder „Allergie“ zu haben. Einige Menschen leiden wirklich darunter, doch die meisten von uns können bedenkenlos alles essen, was in unseren Lebensmittelgeschäften zu finden ist. Während eine Intoleranz zu durchaus unangenehmen (Verdauungs-)Beschwerden führt, ist eine Allergie eine Überreaktion des Immunsystems und kann Auswirkungen auf den gesamten Organismus haben. Je nach Stärke der Allergie können bereits Spuren bestimmter Lebensmittel zu lebensbedrohlichen Immunreaktionen führen. Was ich sagen möchte, ist, dass dieser Trend zu „Nahrungsmittelintoleranzen“ und extrem individualisierten Ernährungsweisen dazu führen kann, dass die richtigen Allergiker weniger ernst genommen werden und dadurch auf Widerstände im Alltag stossen, die ihnen das Leben erschweren. Das ist unfair und muss nicht sein.