ERB-Geschichten

Ungesehene Reste

Ich hatte heute einen fast komplett blinden Klienten in Begleitung seiner Ehefrau in der Ernährungsberatung. Er wurde vom Hausarzt wegen Übergewicht und einem neu diagnostizierten Diabetes mellitus Typ II überwiesen. Im Lauf der Beratung stellte sich rasch heraus, dass sein Hauptlaster sogenannte Stärkebeilagen sind: Reis, Polenta, Bulgur, Quinoa und ganz besonders Teigwaren.

Der Mann erzählt mir, dass er jeweils abends zwei grosse Teller Pasta schöpfe und da er zu der Generation gehört, die als Kind noch gelernt hat, dass man immer alles aufessen muss, nehme er halt manchmal dann auch noch die Reste. Seine Ehefrau, die sehr bemüht ist, ihm beim Gewichtsmanagement zu unterstützen, grinst: „Der Vorteil daran, dass er nicht sehen kann, ist, dass ich ihm problemlos erzählen kann, die Pfanne sei leer, obwohl noch Reste übrig sind.“ Ich bin erst etwas baff ab dieser Aussage, doch ich merke rasch, dass auch mein Klient herzlich darüber lachen kann und amüsiere mich mit den beiden. Sich selbst und sein Schicksal nicht immer so ernst zu nehmen, ist und bleibt eben eine hervorragende Ressource für unbeschwerte Momente. Bei ihm besteht zumindest nicht die Gefahr, dass die Augen grösser sind als der Hunger.

Studiumsgeschichten

Auf Wiedersehen

Die Arbeit als Ernährungsberaterin in einem Kinderkrankenhaus fasziniert mich auch in meiner zweiten Praktikumswoche total: Viele spannende Fälle, sehr nette Kolleginnen, von denen man eine Menge lernen kann, und ein positives Arbeitsumfeld mit viel Potenzial, um Gutes zu bewirken. Was will man als Praktikantin mehr?

Neben all den Krankheiten und Behinderungen, mit denen ich bisher konfrontiert wurde, ist es vor allem eines, was mich als Mensch und angehende Ernährungsberaterin regelrecht frustriert: Die Tatsache, das Kinder keine Chance haben, in ihrem Leben etwas zum Positiven zu verändern, weil ihr familiäres Umfeld nichts dazu beiträgt. Oft geschieht dies nicht aus böser Absicht, sondern schlicht aus Unwissenheit oder Überforderung.

Wie soll ein elfjähriges, aufgewecktes Mädchen, das seit seiner Geburt an der sogenannten Phenylketonurie leidet und auf eine streng eiweissarme Diät angewiesen ist, selbständig und ohne Unterstützung dafür sorgen, dass es ausschliesslich spezielles Brot und Getreideprodukte isst, wenn die Eltern diese nicht kaufen und zur Verfügung stellen?

Was nützt es einem zwölfjährigen Jungen von 70 Kilo, wenn er motiviert einmal im Monat zur Ernährungsberatung kommt und seine Mutter weiter genauso fett- und zuckerreich kocht wie bis anhin?

Man berät die Kinder und schult die Eltern, doch wenn sie nach 60 Minuten den Raum verlassen, lässt man sie mit dem unguten Gefühl gehen, dass sich für das Kind nichts ändern wird und es spätestens im Erwachsenenalter massiv unter dem Fehlverhalten der Eltern leiden wird.

Man kann sich davon unterkriegen lassen, resignieren und seinen Job schliesslich nur noch halbherzig ausüben oder man kann es als Ansporn nehmen und neue Konzepte entwickeln, damit es irgendwann gelingt, dass Kinder, Eltern, Ärzte, Therapeuten und Ernährungsberater (und im Idealfall auch noch die Krankenkassen) alle an einem Strang ziehen. Ideen sind gefragt und ich sehe mich als junge Berufseinsteigerin auch in der Pflicht, solche zu entwickeln.

Alltagsgeschichten

Motivation am Handgelenk

Seit knapp zwei Wochen trage ich meine persönliche Motivationstrainerin am Handgelenk. Sie begleitet mich 24 Stunden am Tag und zählt geduldig jeden meiner Schritte.

Wer im Gesundheitsbereich arbeitet oder arbeiten will, weiss, wie wichtig es ist, sich so viel wie möglich zu Bewegung. Bewegungsmangel ist, neben einer unausgewogenen Ernährung und Tabakkonsum, einer der Hauptrisikofaktoren für sogenannte Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Bluthochdruck, erhöhte Blutcholesterinspiegel und Diabetes Typ 2.

Also predigen wir unseren Klientinnen und Klienten immer und immer wieder, sie sollen sich nicht nur gesund ernähren und die Finger von den Zigaretten lassen, sondern sich auch mehr bewegen. Es geht dabei nicht darum, dass jeder zum Hochleistungssportler wird. Mit mehr Bewegung im Alltag ist schon viel gewonnen. 10’000 Schritte am Tag sollen es mindestens sein.

Meine Schrittlänge beträgt im Durchschnitt etwa 50 cm. Für 10’000 Schritte muss ich also jeden Tag fünf Kilometer zu Fuss zurücklegen. Seit ich meine Smartwatch habe, weiss ich, dass das gar nicht so einfach ist. Am Morgen zwanzig Minuten zur Uni laufen, den ganzen Tag diszipliniert die Treppe benutzen, am Abend wieder zwanzig Minuten nach Hause laufen und die 10’000 Schritte sind noch immer nicht erreicht. Von einem regnerisch-kalten Herbstsonntag, wo man am liebsten überhaupt nicht vor die Tür möchte, fange ich gar nicht erst an.

Geschafft habe ich es in den vergangenen zwei Wochen trotzdem jeden Tag, weil die Smartwatch meinen „Ehrgeiz“ weckt und ich mir wegen ihrer mehr oder weniger genauen Aufzeichnungen nichts vorlügen kann. Wenn ich nur 8’000 Schritte gemacht habe, dann waren’s eben wirklich nur 7’000 und nicht eventuell doch schon 9’500.

Bis jetzt erfüllt das smarte Ührchen seinen Zweck. Ich bin gespannt, wie überzeugend sie bei -10 Grad Celsius und Schneetreiben noch ist.

Essgeschichten, Studiumsgeschichten

Gesundheitsrisiko Mangelernährung

In den Medien hört und liest man immer nur davon, wie gefährlich Übergewicht ist. Ein erhöhter Body-Mass-Index (BMI) gilt als Risikofaktor für Bluthochdruck, Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige unschöne Dinge mehr. Von der Mangelernährung spricht kaum jemand. Dabei geht es nicht in erster Linie um das tatsächliche Körpergewicht – auch eine Person mit einem BMI weit über 25 kann mangelernährt sein – sondern um die Unterversorgung mit Makro- und Mikronährstoffen. Im Studium befassen wir uns gerate intensiv mit dieser Thematik, da der Bereich Mangelernährung auch in der wohlhabenden Schweiz eines der Hauptarbeitsfelder von Ernährungsberaterinnen und Ernährungsberatern ist.

Gemäss Studien sind mindestens 25% der Patientinnen und Patienten, die in der Schweiz in ein Spital eintreten, mangelernährt. Besonders im Alter gelingt es vielen nicht mehr, sich mit ausreichend Kalorien und Nährstoffen zu versorgen. Wenn während der stationären Behandlung kein Schwerpunkt auf eine adäquate Ernährung gelegt wird, sind es beim Austritt vermutlich sogar mehr. Operationen, Medikamente und Krankheiten vermindern oft den Appetit, führen zu Erbrechen oder anderen Magen-Darm-Beschwerden, wobei der Grundenergieumsatz nur leicht vermindert, gleich wie beim Gesunden oder sogar erhöht ist.

Verschiedene Studien haben eindrücklich nachgewiesen, dass mangelernährte Patienten eine höhere Komplikationsrate haben, bei den gleichen Krankheiten und Operationen länger im Krankenhaus bleiben und sogar ein höheres Sterberisiko haben als gut ernährte Personen.